Mittwoch, 8. September 2010

Willkommen im Land des "maybe",

wir schrieben ja bereits, dass wir eine Menge neuer Freunde gefunden haben. Es wird also Zeit, dass wir sie euch einmal vorstellen. Als erstes ist der 7jahrige Sohn unseres Nachbarn aufzufuhren. Sein Name ist Owen und hat immer das richtige Timing, genau dann mit mir Fussball spielen zu wollen, wenn es gerade Essen gibt, ich lesen will oder anderweitige Dinge zu erledigen habe. Aber so komm ich wenigstens zu einer sportlichen Betatigung, nach der mein "Harem" noch vergeblich sucht. Dieser ist mittlerweile auf drei Damen angewachsen. Carmen ist unser viertes Familienmitglied und bringt uns allerhand schwabische Weisheiten bei:-) Sie tragt beim allabendlichen warmen Essen bereitwillig mit Annektoten aus der Petiatrie bei. Ihr wisst ja, dass es fur mich immer wieder ein Vergnugen ist, medizinische Themen wahrend des Abendessens zu erortern. Gestern gab es Kartoffeln mit Krauterquark (bzw. Frischkase oder wie Carmen mich verbessern wurde – Frischkeeeeeeese) und Hausmacher Leberwurst und Butter, gewurzt mit vorbeifahrenden Sargen (vor dem Fenster) und frischen Operationsgeschichten aus der Chirurgie und Petiatrie. Hat trotzdem geschmeckt, habe ja zum Gluck meinen Ipod mit.
Bei einem weiteren Freund wissen wir das Geschlecht noch nicht. Er besitzt Flugel und besucht uns jeden Abend in dem Baum vor unserer „Zelle“. So etwas haben wir noch nicht gesehen. Deutsche Vogel sind dagegen hoflich, weil sie erst 6 Uhr morgens „aufwachen“. Aber dieser penetrante Freund fangt nicht erst morgens an, sondern schon abends! Er schafft es mit einer ungeheuerlichen Ausdauer, in regelmassigen Abstanden (aller 0,8 Sekunden) einen lauten quitschenden Ton hervorzubringen. Klingt wie ein ungeolter Gartenzaun. Dabei hangt er kopfuber an einem Ast und presst durch den Druck seiner immer wieder aufbaumenden Flugel einen Hall aus seinem Brustkorb. Glucklicherweise ist er noch nicht an meine Tschenlampe (die grosse Variante) gewohnt, so dass er bei meinem Scheinwerferstrahl doch den Ruckzug antritt. Das Problem ist aber, dass er sich genau in diesem Baum hauslich eingerichtet hat und er deshalb nach kurzer Zeit wieder zuruckkommt.
Diesen Ton konnen wir aber verkraften, da er normalerweise doch gegen 23 Uhr aufhort (mit Ausnahme der letzten).
Mein Ziel samtliche Sicherheitsleute mit Namen zu kennen, habe ich noch nicht erreicht. Ihr erinnert euch vielleicht daran: Arbeit kostet nichts. Demzufolge gibt es nicht einen oder zwei Sicherheitsleute, sondern eine ganze Herrschar. Zwei davon sind Petrus und Rosa. Petrus ist lustig, findet Carmen attraktiv und ist stolzer Besitzer eines KFC-Regenschirmes, den ich ihm am zweiten Tag geschenkt habe. Rosa ist noch eine der hubscheren Security-Frauen, hat aber leider das standige Verlangen zu telefonieren. Was eigentlich nicht schlimm ware, wenn nicht nachts jedes Wort die mit Metallplatten uberdachten Wege so entlanghallen wurde, dass man jedes Telefonat verfolgen kann. Ich weis wirklich nicht, wie man so in sein Telefon schreien kann und uberhaupt so viel erzahlen kann! Bei Mutti denke ich schon immer, dass ich im Klassenzimmer stehe, aber Rosa ist echt der Hammer! Da wir Weisen im Gegensatz zu den Schwarzen nachts Leuchten wie Kerzen, wird sie mich bestimmt erkannt haben, als ich sie gebeten habe, doch woanders zu telefonieren. War schliesslich die vierte Nacht in Fogle! Naja, mal sehen ob sie mich immer noch so nett grusst, wenn ich durch die Kontrolle ins Krankenhaus will.
Weitere Freunde sind eher fluchtige Bekanntschaften. Pakistani, Afrikaner,..., welche entweder um ein Foto mit Carmen bitten oder jede aus meinen Harem fragen, ob sie denn verheiratet ist. Undine sieht in dieser Frage nur einen neuen guten Freund und beantwortet sie stets wahrheitsgemass mit "no". Und dann haben wir sie die nachsten zwei Stunden an der Backe. Letztendlich muss ich dann doch eingreifen und falsche Handynummern unter falschen Identitaten herausgeben. So sind wir keine Deutschen mehr, sondern Spanier und ich heisse Miroslav. Denn letztendlich brauchen wir keine neuen Autos, Kuhlschranke, Fotos oder Manner, welche dem Wohlfahrtsverband Germany beitreten wollen. Ist aber in Wirklichkeit noch ein wenig lustiger als dies hier vielleicht scheint!
Themawechsel.
Wie wurdet ihr euch vorkommen, wenn ihr als Arbeitgeber Aufgaben verteilt und wissen wollt, bis wann sie erledigt sind und als Antwort kommt: maybe (vielleicht) today or tomorrow or next week oder maybe gar nicht. Willkommen im Land des „maybe“. Hier ist alles maybe. Das Benzin in der Tankstelle, ausgehandelte Termine mit Klienten oder Offnungszeiten- einfach alles. Dies verleitet naturlich dazu, sich ein wenig von dieser Gelassenheit anzueignen. Ok, ich weis schon jetzt, dass ich mich nicht mehr aufregen werde, wenn der Bus in Dtl. zwei Minuten spater kommt oder ich an der Kasse etwas langer warte – zumindest in den ersten Tagen. Aber so ist es ja kein Wunder, dass solche Lander nicht richtig in Gang kommen. Es ist nur schade mit ansehen zu mussen, dass das Land als Ganzes grosses Potential hat. Tourismus (vielleicht nicht im aussersten Norden) und Bodenschaetze sind nur zwei grosse Posten. Eine Schicht von mittelstandischen Unternehmen gibt es noch nicht wirklich. „Kleinen“ Unternehmern den Weg nach oben zu erleichtern und ihnen dabei zu helfen, ihr Unternehmen besser in den Griff zu bekommen, ist die Aufgabe meiner Praktikumseinrichtung (SMEs Compete). Wir reden viel mit Kunden uber deren Probleme, Ziele und Vorstellungen und versuchen ihnen zu helfen > Unternehmensberatung. Das lustige daran ist, dass wir kein Geld „verschenken“, jedoch die Dienstleistung in allen Fallen fur die Kunden kostenfrei ist. Das Geld kommt vom DED (Deutschen Entwicklungsdienst und nationalen namibischen Sponsoren). Also im Endeffekt euer Geld, was ich hier verpulvere:-) Aber so seht ihr wenigstens, wofur es verwendet wird. Wenn ihr das ungerecht findet, dann wahlt einfach zur nachsten Wahl die FDP. Der Herr Niebel wird dann als zukunftiger Aussenminister dafur sorgen, dass sein „Entwicklungsministerium“ R.I.P. ist und somit auch die Forderung von jungen Unternehmern in Namibia.

Ansonsten haben wir uns bisher gut erholt – vor allem letztes Wochenende. Da waren wir in einer kleinen grunen Oase mit Swimmingpool und Sonnenliegen und haben einfach nur die namibische Sonne genossen. Wir mussen so langsam aber sicher auch an unsere Hautfarbe denken, die noch immer so aussieht wie vor zwei Wochen. Abends passiert bei uns nicht mehr allzu viel. Durch die Zeitumstellung sind wir wieder mit euch gleich gleichgezogen und haben abends eine Stunde langer naturliches Licht. Essen, duschen (kalt), quatschen und ein wenig lesen reicht dann schon. Wir haben immer recht viel Spass. Ein einfaches Kartenspiel (@ Lars und Susi) wurde das abendliche Unterhaltungsprogramm jedoch um einen grossen Teil erweitern. Glucklicherweise sind die letzten beiden Nachte wieder kuhler gewesen (ca. 15 Grad), so dass wir wieder in unseren Schlafsacken traumen konnten.

Derzeit stort mich hier nur noch wenig. Also die Arbeitsmoral betrifft mich ja nur indirekt und der Brandgeruch wird durch die mittlerweile zu Ende gegengangene Messe auch weniger. Jetzt kommt aber ein neues Problem hinzu. Ich brauche NACHRICHTEN! Also so richtige mit meiner Lieblings ZDF und N24 Moderatorin. Man ist hier wirklich informatorisch abgeschottet. Ausserdem verbringe ich meine Zeit im WWW immer damit, euch ellenlange Artikel zu schreiben, statt mein Bedurfnis nach Informationen zu befriedigen:-)
Deshalb werde ich fur die kommende Woche diese Aufgabe an meine Mitbewohner ubergeben und hoffen, dass sie diese genauso verantwortungsbewusst ausfuhren (*bekomme gerade einen kleinen Lachanfall uber mich selbst*).

So, mal sehen ob ich meine Betreuerin heute noch einmal sehe!?

Arividerci
Miroslav

2 Kommentare:

  1. Hallo, ihr lieben Wahlafrikaner,
    es ist großartig an euren Erlebnissen so lebendig teilnehmen zu können. Habe ganz lieben Dank, dass du so fleißig schreibst. Deinen "maybe"- Bericht habe ich gleich verinnerlicht, um meine Aufregung in der Schule herunterzuschrauben. Es ist aber so, wir Deutsche könnten von dieser Lebensauffassung ein kleines bisschen gebrauchen.
    Wir denken oft an euch und grüßen euch ganz lieb
    eure Frauke

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  2. Ihr Lieben,
    ich freue mich, zu hören, dass es euch da "unten" auf der Südhalbkugel gut geht. Und ich bin ehrlich gesagt auch ein bisschen neidisch auf all die tollen Momente und Erfahrungen, die ihr da unten sammeln könnt.
    @ Undine: Dein Arbeitsvertrag war immer noch nicht im Briefkasten.... Aber deinen Blumen geht´s soweit gut. :)
    Ich denk an euch.
    Eure Nadia

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